Unterhaltendes zur Sprache

Faschingsspeise aus Skandinavien

Wort des Jahres 2021:

Semla

 Zur Faschings/Karnevalzeit werden in vielen Ländern Europas fett- und zuckerhaltige Spezialitäten serviert. In Österreich und Süddeutschland erfreuen sich Faschingskrapfen großer Beliebtheit. In Skandinavien und Estland werden traditionelle pulla-Hefeteigbackwaren mit Köstlichkeiten wie Schlagobers/-sahne, Konfitüre und Marzipan aufgepeppt. Gerade bei dieser Tradition zeigt sich aber, dass das Schwedische eine Sprache mit mehreren Zentren ist. Denn während das Gebäck in Schweden semla genannt wird, sagen auf der anderen Seite des Bottnischen Meerbusens die schwedischsprachigen Finnen dazu fastlagsbulle. Das Wort semla wiederum bedeutet in Finnland, genauso wie das süddeutsche Semmel, ein kleines Gebäck aus Brotteig. Beide gehen auf das lateinische Wort simila zurück, das ursprünglich feines Weizenmehl bedeutete und dann auf daraus gebackenes Gebäck ausgedehnt wurde. Während das Wort semla in Schweden seit den letzten 50 Jahren (bis auf ein paar Dialekte) nur mehr die im Februar vertilgte Spezialität bezeichnet, hat es in Finnland eine gegenteilige Bedeutungserweiterung erfahren: heutzutage bezeichnet semla auch Brötchen aus anderen Mehlsorten wie Roggen- und Grahammehl.

Die Bedeutungsunterschiede haben in der innenskandinavischen Kommunikation zu manch Missverständnis geführt. So wünschte sich ein finnlandschwedischer Chor bei seinem Schwedenbesuch im Herbst, dass die Chormitglieder nach ihrem Auftritt „öl och semlor“, also Bier und Brötchen, serviert bekommen. Die schwedischen Gastgeber wunderten sich zwar etwas über die Vorlieben der finnischen Gäste, konnten aber schließlich mit großer Mühe die winterlichen Süßspeisen auftreiben.

Umgekehrt haben die ostsemlor, also die völlig alltäglichen Käsebrötchen in finnlandsschwedischen Cafés, es schon mal auf schwedische Grusellisten geschafft. Denn die Schweden sind sich zwar weitgehend uneinig darüber, was die einzig richtige Semla-Füllung ist (Konfitüre vs. Mandelmasse), aber cremegefüllte Brioche mit Käse???

 

Wort des Jahres 2020:

Skyr, kermaviili, fil, piimä

Im Moment entdecken wir die Häuslichkeit und damit auch das Kochen und Backen. Gefragt sind vor allem hochwertige Zutaten, aus denen man in den eigenen vier Wänden hochwertige Delikatessen zaubern kann.

Wie wäre es mit einem Heidelbeerkuchen? Diese Köstlichkeit schmeckt nirgendswo so herrlich saftig wie in Skandinavien, denn die SkandinavierInnen haben eine Geheimwaffe: sie geben eine wohldosierte Menge Sauermilchprodukte in den Teig.

Die Wahl des richtigen Sauermilchproduktes ist allerdings eine Herausforderung, wenn man ein echtes Rezept aus Skandinavien gefunden hat. Denn in der Originalsprache liest man unter den Zutaten fil, kermaviili oder skyr. Das Letzte ist dank gelungener Marketingaktivitäten skandinavischer Hersteller heutzutage auch in Mitteleuropa erhältlich: gemeint ist eine stichfeste Milchspeise, die wie eine Mischung aus Topfen/Quark und Joghurt schmeckt. Durch den hohen Protein- und niedrigen Fettgehalt hat Skyr besonders unter den Sportlichen und Ernährungsbewussten einen Kultstatus erlangt. Ursprünglich in ganz Skandinavien verbreitet, wird Skyr heute vor allem mit der isländischen Kultur verbunden. Skyr wird, genauso wie Joghurt, aus Milch und Milchbakterien hergestellt, aber im Gegensatz zu diesem sowie zum Topfen/Quark wird die Milch zuerst entrahmt.

Bei fil handelt es sich im Grunde um Milch, die auf natürliche Art gesäuert und der deutschen Sauermilch oder Dickmilch ähnlich ist. Allerdings ist fil (im Finnischen wird dieses Getränk piimä genannt) etwas sämiger, weswegen das Schweden-Portal schweden-tipp.de zu dem Schluss kommt, dass fil nur aus Schweden importiert und nicht durch die Sauermilch ersetzt werden sollte. Es handelt sich um ein flüssiges Produkt, das in erster Linie aus einem Glas getrunken wird, aber auch in einen Brotteig gemischt werden kann.

Etymologisch aber nicht inhaltlich gleich ist das finnische viili, eine Art Sauermilch-Pudding. Mit 3,5 % Fett gilt viili alseine gesunde Alternative zum gesüßten Joghurt. Wenn man bei der Produktion etwas mehr Fett in der Milch belässt, bekommt man kermaviili, das wie Crème fraîche zum Kochen und Backen verwendet wird. Kermaviili ist genau diejenige Geheimwaffe, die den Beerenkuchen so herrlich saftig macht. Dieses Lebensmittel ist aber auch ein ausgezeichneter Begleiter für gebratenen Fisch. Für viele SkandinavierInnen beginnt der Sommer mit den ersten Frühkartoffeln und Heringsfilets, die mit einer Sauce aus kermaviili und Dille serviert werden.

 

Wort des Jahres 2018:

Semester

In Kürze beginnt an den deutschsprachigen Universitäten und Hochschulen das Semester, während in Schweden die semester-Saison gerade im August zu Ende gegangen ist. Wieso das, müssen die armen Schweden denn die ganzen Sommerwochen hindurch lernen? Nein, denn es handelt sich hier um sogenannte falsche Freunde, also Wörter, die zwar ähnlich aussehen, aber doch in die Irre führen. Das schwedische Wort semester bedeutet Urlaub oder Ferien. Wenn Sie also bei ihren schwedischen Geschäftspartnern hören, dass sie im Juli semester haben, sollten Sie zu diesem Zeitpunkt keine Treffen in Aussicht nehmen. Denn der Sommerurlaub ist in Skandinavien wirklich eine ernste Angelegenheit: bei nur etwa acht Wochen, in denen die Tagestemperaturen überhaupt auf über 20 Grad hinaufklettern können, muss diese Zeit gut genutzt werden!

Übrigens: das universitäre Semester heißt auf Schwedisch termin, was wiederum nichts mit einem Termin zu tun hat: für diesen Termin sagen die Schweden einfach tid, also „Zeit“.

 

Wort des Jahres 2017:

Haberer – kaveri

Wenn Sprachen Skandinaviens mit dem Deutschen in Berührung gekommen sind, handelte es sich fast immer um die norddeutsche Sprachvariante. Selten sind Beispiele von Wörtern, die direkt aus Österreich kommen. Begegnet man dann solchen Fällen, kommt man normalerweise gar nicht auf die Idee, dass es sich um Wörter gemeinsamen Ursprungs handeln könnte. So ist es, wenn man als KennerIn des österreichischen Idioms in Finnland erfährt, dass ein gängiges Wort für den Freund (im Sinne einer nicht-romantischen Freundschaft) eben kaveri ist – das in Wien weit verbreitete Haberer (auch Hawerer oder Hawara geschrieben) lässt grüßen. In diesem Fall handelt es sich allerdings keinesfalls um eine Verbrüderung zwischen Finnland und Österreich, denn der Ursprung liegt im Jiddischen bzw. Hebräischen: beide sind wahrscheinlich auf das hebräische khaver zurückzuführen.

Es ist schön, einen kaveri zu haben, und dasselbe gilt auch für Hawara. Allerdings sollte man Freundschaft und Beruf tunlichst trennen. Sonst handelt es sich um die Verhaberung, was eine abschätzige Bezeichnung für Seilschaften oder Vetternwirtschaft ist. Menschen, mit denen man verhabert ist, sind keineswegs zwangsläufig Herzensfreunde, sondern Menschen, mit denen man sich gut verstehen muss, im Sinne von „ich helfe dir, so hilfst du mir“. Im Finnischen nennt man so was etwa hyvä veli -verkosto („Netzwerk von guten Brüdern“), wobei die Güte sich selbstverständlich nur auf die Menschen innerhalb der Brüderschaft bezieht.

 

Wort des Monats Juli 2016:

Öl

Wer Fremdsprachen lernt, soll sich vor falschen Freunden hüten. Damit gemeint sind Wörter, die ähnlich aussehen, aber etwas ganz anderes bedeuten. Ein berühmtes Beispiel für so ein Wort ist Öl, das auf skandinavisch ‚Bier‘ bedeutet. Damit kommt es immer wieder zu lustigen Missverständnisse.

So hat sich schon manch ein Deutschsprachiger gewundert, wenn sich ein Skandinavier in einer Bar öl bestellt hat. Für Skandinavier wiederum hört sich den Ölstand zu prüfen wie ein Alko-Test an, und dass Norwegen ein Öl exportierendes Land ist, ist kaum zu begreifen – alle wissen ja, dass Alkohol in Skandinavien sehr teuer ist. Deswegen werden die Skandinavier besonders wach bei den Verkehrsschildern, die auf Deutsch vor Ölspuren warnen: Wie, Bier auf der Straße? Her damit!

Wort des Monats Juni 2016:

Keskiyön aurinko / midnattssol

Eine wahre Geschichte aus dem Norden Norwegens: eine Touristin auf der Hurtigruten-Tour kommt zur Reiseleiterin und verlangt ihr Geld zurück. Der Grund: versprochen hatte man ihr die Mitternachtssonne, aber sie sieht nur die ganz normale Sonne!

Die Mitternachtssonne (keskiyön aurinko in der Übersetzung ins Finnische, midnattssol auf Schwedisch und Norwegisch) ist also an sich nichts Besonderes: dieselbe Sonne, die das ganze Jahr über scheint, jetzt allerdings rund um die Uhr! Nördlich des Polarkreises erlebt man diese Zeit der Dauerhelligkeit von Mitte Mai bis Ende Juli. Utsjoki, die nördlichste Gemeinde Finnlands, genießt den längsten Tag in Finnland: zwei volle Monate bleibt die vollständige Sonnenscheibe ohne Pause, Tag und Nacht, am Himmel.

Der Höhepunkt dieser Periode ist das Mittsommerfest: juhannus in Finnland, midsommer in Schweden und Norwegen,  das mit dem Fest des Heiligen Johannes und der heidnischen Sommersonnenwende zusammenfällt. Im Norden Skandinaviens wird es ohnehin nicht dunkel, und selbst im Süden gibt es nur ein paar Stunden Dämmerung. Man spricht auch von yötön yö, „die Nacht ohne Nacht“. In Skandinavien ist das Johannisfest das bei weitem bedeutendste Sommerfest, eine magische Zeit für Zauber und Liebe, in der die SkandinavierInnen scharenweise in die Natur zurückkehren.

Wort des Monats Dezember 2015:

Lucia-dagen

Im protestantischen Skandinavien wird weder Krampus noch Nikolaus gefeiert. Dennoch gibt es einen besonderen Feiertag, der die Weihnachtszeit versüßt: den der Heiligen Lucia, einer katholischen Heiligen!

Das Lucia-Fest fällt auf den 13. Dezember, da dieser Tag vor der Umstellung auf den gregorianischen Kalender der Tag der Wintersonnenwende war. Noch immer wird Lucia als die Lichtbringerin gefeiert. Besonders beliebt ist der Brauch in Schweden, wo Schulen, Arbeitsplätze und öffentliche Einrichtungen von einer weißgekleideten Lucia-Maid samt ihrem Anhang (tärna-Mädchen und stjärngosse-Knaben) besucht und mit Lucia-Gebäck (lussekatte) bewirtet werden.

Das Lucia-Fest hat sich von Schweden aus auch in andere skandinavische Länder verbreitet, auch wenn es nicht dieselbe Bedeutung wie in Schweden erlangt hat. In Finnland beschränkt sich der Brauch auf die Küstenregionen, da er einen ausgesprochen schwedischen Charakter hat und daher ein identitätsstiftendes Merkmal für die schwedischsprachige Minderheit ist. Aber auch AuslandsschwedInnen legen gerne selbst weitere Strecken zurück, um vertraute Lucia-Lieder zu hören. So auch in Wien, wo die Schwedische Kirche in der Pfarre St. Gertrud ein Lucia-Konzert gibt!

 

Kennen Sie die skandinavischen Sprachen?

Im Folgenden sehen Sie diesen Satz in allen offiziellen Sprachen (d.h. Landessprachen eines selbständigen Staates oder einer autonomen Region):

Norden ist zwar kein Bundesstaat, aber in vielerlei Hinsicht bildet er eine Einheit von drei Monarchien, zwei Republiken und drei autonomen Gebieten.

  1. Vel er Nodern ikke nogen forbundstat, men i mange henseender udgør den alligevel en enhed i en mangfoldighed bestående af tre monarkier, to republikker og tre hjemmestyreområder.
  2. Norðurlönd eru ekki sambandsríki. Þau eru engu að síður í mörgu tilliti ein heild sem mynduð er af Þremur konungsríkjum, tveimur lýðveldum og Þremur heimastjórnarsvæðum.
  3. Pohjola ei ole liittovaltio, mutta monessa suhteessa se on yhtenäinen kolmen kuningaskunnan, kahden tasavallan ja kolmen autonomisen alueen muodostama yksikkö.
  4. Norðurlond eru ikki eitt sambandsríki. Men Norðurlond eru í mangar mátar ein eind við trimur kongadømum, tveimum lýðveldum og trimum heimastýrum.
  5. Norden är ingen förbundsstat. Men Norden är i många avseenden en enhet bestående av tre monarkier, två republiker och tre autonoma områden.
  6. Lihtostáhtain ii sáhte Davviriikkaid gohđodit. Muhto Davviriikkat leat máŋgga dáfus ovttadat mas leat golbma monarkiaválddi, guokte republihka ja golbma autonoma guovllu.
  7. Norden er ingen forbundsstat. Men Norden er på mange måter en enhet som inneholder tre monarkiere, to republikker og tre selvstyrende områder.
  8. Nunat Avannarliit naalagaaffiit peqatigiiunnagikaluarlutik taamaattoq kunngeqarfiit pingasuussut, kunngiitsuufiillu marluk, namminersornerulluni oqartussaaffiillu pingasut assigiinngitsorpassuartigut ataassiussuteqarput.
 

 

Wort des Monats – Jänner 2015

Order here, pay here – Dynamik der anderen Art

Einem aufmerksamen Reisenden fielen auf dem Hauptbahnhof der finnischen Stadt Tampere zwei kleine Schilder auf. Die durchaus touristenfreundlich zweisprachig beschrifteten Schilder enthielten Anweisungen für den Kauf von Imbissen: auf dem einen Schild stand Tilaa tästäOrder here und auf dem anderen Maksa tähänPay here. Unser Reisender hatte Schwierigkeiten, das sich wiederkehrende Wort „here“ von den finnischen Sätzen her ausfindig zu machen. Schlau wie er war, konnte er erkennen, dass es dasjenige Wort sein muss, das jeweils mit den Buchstaben beginnt, aber warum in aller Welt heißt es einmal tästä und einmal tähän?

Die Antwort lautet: eigentlich bedeutet keines von diesen Wörtern „hier“, denn tästä bedeutet wortwörtlich „hierher“ und tähän „hierhin“. Im Gegensatz zum Deutsch ist das Finnische nämlich eine sogenannte dynamische Sprache. Mit Innovationsgeist hat dies allerdings nichts zu tun, sondern mit den sprachlichen Strukturen: denn dynamisch bedeutet in diesem Zusammenhang, dass das Finnische oft den wohin– oder woher-Fall verwendet, wo im Deutschen ein statischer Fall, nämlich ein wo-Fall einsetzt wird. So sagt man im Finnischen nicht nur „irgendwohin bezahlen“ und „irgendwoher bestellen“, sondern auch „eine Ware aus einem Laden kaufen“, „sich einen Film aus dem Fernsehen anschauen“ und „die Schlüssel nach Hause vergessen“. Diese sind nicht nur für Deutschsprachige berüchtigte Stolpersteine, sondern genauso für finnischsprachige Deutschlernende!

 

Wort des Monats – Jänner 2014

Vuosi

Das finnische Wort vuosi ist berüchtigt. Nicht wegen der Bedeutung („Jahr“), sondern wegen seiner grammatikalischen Flexibilität: die Wörterbuchform (Nominativ) vuosi zu kennen hilft nicht wirklich weiter, wenn im Text die flektierte Form vuoden („des Jahres“), vuotta („das Jahr“ als Objekt) oder vuonna („im Jahr“) entgegenlacht. Dieses Phänomen ist typisch für die älteste Schicht des finnischen Wortschatzes. Zum Glück sind beileibe nicht alle finnischen Wörter so kompliziert zu handhaben: in der Regel genügt ein bloßes Hinzufügen von der jeweiligen Fallendung. Beim Wort ruusu („Rose“) braucht man nichts anders als ein paar einfache, gleichbleibende Buchstaben, um den Kasus zu signalisieren, und so sind ruusunruusua und ruusussa selbst mit minimalen Sprachkenntnissen leicht zu identifizieren. So gesehen ist es nicht wirklich komplizierter als die deutsche Grammatik mit ihren Präpositionen: in der einen Sprache schreibt man die grammatikalische Silbe halt vor dem Wort, in der anderen im Anschluss des Wortes. Und wenn man noch bedenkt, dass das Finnische kein grammatikalisches Geschlecht hat, hat man Anlass, die Vorstellung von der „schwierigen“ finnischen Sprache wenn nicht zu verwerfen, so doch zumindest zu revidieren!

Wort des Monats – Dezember 2013

Jul / joulu

 Weihnachtskarten zu schicken ist eine frühwinterliche Massensportart in Skandinavien. Wer schon mal eine skandinavische Weihnachtskarte erhalten hat, hat vielleicht auch schon den einschlägigen Gruß God jul (dän/nor/schwe) bzw. Hyvää joulua (finn.) wahrgenommen.

Jul ist ein altes germanisches Wort (bzw. im Finnischen Lehnwort). Das Wort Jul existiert zwar auch im Deutschen, hat aber heutzutage einen unangenehmen Klang, da es unter den Nationalsozialisten Bestrebungen gab, das christliche Weihnachtsfest durch das „germanische“ Jul zu ersetzen. In Skandinavien ist es aber nach wie vor die ganz normale Bezeichnung für Weihnachten. Denn mit dem heidnischen Mittwinterfest wurde auch das Wort übernommen. Allerdings ist es in Skandinavien nicht nur der Name, der deutliche Anklänge an heidnische Traditionen vorweist – auch manche heidnischen Bräuche leben im skandinavischen Weihnachten weiter. So ist der finnische Weihnachtsmann, joulupukki, kein direkter Nachkomme des altchristlichen Bischofs Nikolaus, und schon gar nicht des amerikanischen Santa Claus, sondern firmierte in Gestalt eines als Bock (pukki) verkleideten Mannes, der von Haus zu Haus gezogen ist und mit reichlich Alkohol bewirtet wurde. Noch immer ist es in Finnland üblich, dass der Weihnachtsmann (traditionell ein männlicher Verwandter, heutzutage immer mehr ein „Mietbock“ auf Honorarbasis) am Heiligen Abend im Hause vorbeischaut. Die Bocksmaske hat der Weihnachtsmann inzwischen zugunsten eines Santa Claus-Kostüms abgelegt, aber noch immer wird der Weihnachtsmann gelegentlich verdächtigt, dem edlen Tropfen nicht ganz abgeneigt zu sein. Deshalb wird in Weihnachtsmann-Angeboten im Anzeigenteil der Zeitungen mit raitis joulupukki („nicht-trinkender Weihnachtsmann“) geworben.

Wort des Monats – Oktober 2013

Ravintolapäivä

Wer hat nicht schon diesen Traum geträumt: ein eigenes Lokal zu besitzen. Mit den Gästen zu parlieren, ein paar Lieblingsgerichte zu servieren, gehobenen Ulk zu kultivieren. Jeder Tag eine Party, und den Abwasch erledigt die Maschine. Dass es in der gastronomischen Praxis dann weit weniger entspannt zugeht, hat sich zwar auch schon herumgesprochen, trotzdem gilt: Träume sind Schäume, manchmal aber werden sie, zumindest für einen Tag, wahr. Ravintolapäivä zum Beispiel, der finnische Restauranttag, ist so eine traumhafte Erfindung, die es allen Hobbyköchen und -köchinnen ermöglicht, ganz formlos ein Restaurant zu eröffnen. Für 24 Stunden nur, aber das viermal im Jahr, und welche großen Dinge haben nicht schon klein begonnen. Die Spielregeln sind einfach: ob Kaffeehaus, Restaurant oder Bar, alles ist möglich und das überall wo sich Tische aufstellen lassen – daheim oder im Büro, in Parks oder auf der Straße. Seit 2011 gibt es diese nahrhafte Institution, die sich von Jahr zu Jahr größerer Beliebtheit erfreut und auch bereits international gern kopiert wird. Ob aus dem restauranttechnischen Ein(tags)stand dann eine lukullische Dauerbeziehung wird oder ob es beim zarten Versuch bleibt, das entscheidet sich ganz über die kulinarischen, ökonomischen und organisatorischen Fähigkeiten der BetreiberInnen, aber so manche/r ist auf diese Weise schon im wahrsten Wortsinn auf  den Geschmack gekommen. Und am Ende der Geschichte, wenn sie denn zum Erfolg geführt hat: einige Lokale mehr von der sympathischen Sorte, auf denen geschrieben steht: Hier kocht der Chef – probieren Sie es trotzdem! 

Übrigens: ScanLang ist von Zeit zu Zeit auch dabei – zuletzt am 18. August 2013, als „Délices du Nord“ einen Tag lang skandinavische Spezialitäten in der finnischen Kirche in Wien servierte. Ein Grund mehr, sich den Tag zu merken! 

Wort des Monats – Mai 2013:

Finlandsbåt / ruotsinlaiva

Diese zwei sehr unterschiedlich anmutenden Wörter verhalten sich zueinander wie Morgenstern und Abendstern: sie bezeichnen beide dieselben Schiffe, die zwischen Finnland und Schweden verkehren. Finlandsbåt ist, wie auch für Nicht-Schwedischkundige leicht nachvollziehbar, das schwedische Wort für ein Boot (d.h. ein Schiff), das nach Finnland fährt, während das finnische ruotsinlaiva, bedeutend weniger verständlich, „Schwedenschiff“ bedeutet. Und wie sich Morgenstern und Abendstern auf dasselbe Ding, also den Planeten Venus beziehen, haben auch diese zwei Bezeichnungen dasselbe Bezugsobjekt, also Schiffe der Reedereien Silja Line oder Viking Line, die zwischen Stockholm in Schweden und Helsinki bzw. Turku in Finnland verkehren. Finlandsbåt/ruotsinlaiva auf bloße Verkehrsmittel zu reduzieren würde aber bedeuten, ihr Wesen gründlich zu verkennen. Denn für die Mehrzahl der Reisenden ist das Erreichen der Stadt A von Stadt B zweitrangig – ein Flug wäre bedeutend schneller und in Zeiten der Billigfluglinien nur unwesentlich teurer. Was zählt, ist das Reisen selbst: die „Boote“ sind in Wirklichkeit luxuriöse Konsumtempel, die jedem mondänen Kreuzfahrtschiff das Wasser reichen können. Das Zauberwort hieß lange Tax free: Da die Schiffe das Vorrecht hatten, Waren steuerfrei verkaufen zu dürfen, erreichten die Preise von Süßwaren, Parfüms und – vor allem!- Alkoholika, ihrer Steuersätze beraubt, fast schon mitteleuropäisches Niveau.

Wort des Monats – April 2013:

Troll

Was ein Troll ist, weiß auch hierzulande jedes Kind: Ein Troll ist ein hässliches, langnasiges, lichtscheues, am ganzen Körper behaartes Fabelwesen aus der skandinavischen Mythologie, das den Menschen nicht gerade freundlich gesinnt ist. 

Dass es aber mehrere Trollarten gibt, wissen vielleicht nur wenige, und dass es sogar weibliche, hübsche Trolle gibt, die sogenannten Huldras, die Männer gerne in den Wald locken – ja, das erfährst Du jetzt hier bei ScanLang. Die norwegische Huldra erkennst Du daran, dass sie zwar ziemlich sexy ist, aber einen Kuhschwanz hat. Ein anderer wichtiger Troll ist der Fossegrimen, der schon so manchem Geiger heimlich gegen gutes Fleisch das Geigenspiel beigebracht hat. Seine Fiedel muss allerdings einiges aushalten, denn er lebt unter einem Wasserfall.  

Im Wald findest Du den hässlichen, einäugigen Skogtroll, der so stark ist, dass er sogar Baum entwurzelt. Dem norwegischen Maler Theodor Kittelsen verdanken wir einige Bilder des unheimlichen Nökk, wie er mit seinen glühenden Augen aus dem Teich starrt oder als weißes Pferd im Begriff ist, einen jungen Burschen im See zu ertränken. Im Gegenzug dazu sind die Nisser schelmische und intelligente Kobolde, die den Menschen normalerweise ganz gut gesinnt sind.

Für jene, die es wirklich wissen wollen: Troll leitet sich von norweg. trylle (zaubern) ab. Heutzutage bezeichnet man auch Leute, die in Diskussionsforen im Internet permanent stören und provozieren als Trolle (vgl. engl. ködern). Außerdem hieß mal ein Motorroller aus der DDR so, und auch eine norwegische Automarke bekam unverdienterweise diesen Namen. Was die Vorfahren der österreichischen Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Irma von Troll wohl mit jenen Fabelwesen zu tun hatten…

Wort des Monats – März 2013:

Åbo

Kreuzworträtsel-Fans kennen diesen Klassiker: Finnische Hafenstadt (schwed. Name) und die Antwort: Abo. Und doch ist die Antwort falsch. Denn die besagte finnische Hafenstadt heißt ÅBO. Der für deutschsprachige Augen kaum wahrnehmbare Ring auf dem Anfangsbuchstaben ist keineswegs drucktechnischer Dreck, sondern macht aus einem A ein O. Der Buchstabe Å kennzeichnet im Schwedischen schlicht und einfach den O-Laut, da mit dem Buchstaben O in der Regel ein U-Laut gemeint ist. Die richtige Aussprache lautet also [o:bu], bzw. auf deutsche Orthografie übertragen etwa Ohbu. Da der Buchstabe Å in der finnischen Sprache nicht verwendet wird, heißt er im Finnischen „das schwedische O“. Da das Schwedische die zweite offizielle Sprache Finnlands ist, gehört er aber dennoch zum finnischen Alphabet. Sie finden ihn gleich vor den Buchstaben Ä und Ö. Das ist gut zu wissen, sollten Sie jemals in einem finnischen (oder schwedischen) Telefon- oder Wörterbuch blättern wollen!

 

Wort des Monats – August 2012:

Leðurblökumaðurinn

Anders als in den deutschsprachigen Gefilden, wo niemand auch nur den leisesten Anstoß daran findet, dass englischsprachige Namen englischsprachig bleiben, verfolgt man in Island einen strikten Sprachpurismus. So wird der amerikanische Fledermausmensch Batman konsequent zum Lederflügelmann: Leðurblökumaðurinn. Ein im Internet kursierender Witz zeigt dieses schöne Wort und kommentiert: „Frag mich also nicht mehr, warum ich immer noch nicht so fließend Isländisch spreche“. Die insuläre Übersetzungspolitik hat auch schon viele andere kreative Leistungen hervorgebracht. So heißt der Computer selbstredend nicht Computer, sondern tölva, eine Zusammenziehung aus tala (Zahl) + völva (Wahrsagerin). Und folgerichtig wird dann die E-Mail zur Tölvupóstur, zur „Post, die von der Zahlenwahrsagerin verschickt wird“.

Wort des Monats – Juli 2012:

Lagom

Die Tätigkeit des Übersetzens führt ja nicht nur von einer Sprache in die nächste, sondern manchmal auch von einem Ufer zum anderen: über Untiefen hinweg, an gefährlichen Klippen vorbei. Und hier wie dort droht die Gefahr des Scheiterns, auch im reißenden Strom der Idiome. Was aber, wenn die Überfuhr idealerweise mittendrin enden soll, zwischen allen Ufern und Positionen? Auch das kann ein Ziel sein und gerade richtig. Zum Beispiel lagom, ein Wort aus dem Schwedischen, für das es keine direkte Übersetzung ins Deutsche gibt. Es bezeichnet eine in Skandinavien weit verbreitete Abneigung gegen Extreme, die Bevorzugung eines vernünftigen, also nicht mittelmäßigen Mittelmaßes. Lagom bedeutet nicht zu viel und nicht zu wenig. Astrid Lindgren lässt in ihrem Roman Emil i Lönneberga die Fleischklößchen für das Ortsfest Lagom stora, lagom runda och lagom bruna sein, also „so groß, rund und braun, wie sie sein müssen“. Genauso erfreulich ist es, wenn das Wetter im Urlaub lagom warm ist, man auf der Autobahn lagom schnell voran kommt und die Portionen im Restaurant lagom groß sind. Drum verwundert es auch nicht, dass lagom ein beliebtes Element in der Geschäftssprache ist: Lagomwhite bietet weiße (also genau richtig weiße) Möbel an, und Lagom Skandinavia führt in die Welt des skandinavischen Designs ein.

Wort des Monats – Juni 2012:

Ulkoilu

Das Wort ulkoilu ist vom Verb ulkoilla abgeleitet, welches wortwörtlich (sozusagen morphologisch) „draußen“ bedeutet, also ich drauße, du draußst, er/sie/es draußt. In Ermangelung eines passenden Verbs müssen wir im Deutschen also nach Umschreibungen suchen. Das Finnisch-Deutsche Großwörterbuch bietet als Übersetzung kampieren, gefolgt von „[viel] draußen an der frischen Luft sein, [viel] spazieren gehen“. Das kommt schon näher, birgt aber auch die Gefahr, dass ulkoilla mit mitteleuropäischem oder gar mediterranem Spazieren verwechselt wird. Denn das ist es beileibe nicht! Mögen doch die anderen in ihrem Sonntagsanzug flanieren – traditionsbewusste FinnInnen hüllen sich in tuulipuku (Windbreaker) ein und legen im zügigen Schritt los. Wobei das ulkoilu zwar durchaus im flotten Tempo erfolgen kann, aber das Entscheidende ist, dass es niemals in Sport ausartet, sonst wäre es eben liikunta (sportliche Bewegung). Eine Übersetzung, die das Wesen von ulkoilu annähernd erfasst, wäre demnach, kurz und bündig, „sich in der frischen Luft tüchtig, aber nicht sportlich zu bewegen, ohne besondere Regeln zu befolgen“.

 

Wort des Monats – September 2012:

Pakkopulla

Ob als Striezel in Zopfform oder in Kleinformat als Brioche; ob pulla (finnisch), bulle (schwedisch),  bolle (dänisch, norwegisch)  oder bolla (isländisch)  – diese Hefe/Germteigbackwaren sind in Skandinavien immens beliebt.

So beliebt, dass sie als Alltagskost angesehen werden, als banale Begleiterinnen für den Nachmittagskaffee unter der Woche.  Nun war es aber in Finnland lange Zeit ein Muss, Gäste mit „sieben Sorten“, d.h. mit sieben verschiedenen Süßwaren zu bewirten. Nebst raffinierteren Versuchungen wie Torten (1 St.) und Kuchen (2 St.) sowie Keksen (3 St.) war pulla selbstverständlich stets dabei. Die Speisefolge verlief bis zum krönenden Abschluss, also zur Torte, hin. Und begonnen wurde dabei logischerweise mit dem, das am wenigsten spektakulär war, also dem pulla. Erfahrenen Naschkatzen erschien diese obligatorische pulla-Runde bald als kleine Hürde vor dem richtigen Schlemmen, und so wurde das Eröffnungsgebäckzum Zwangs- (also pakko-) pulla. Da siebengängige Süßwarengelage mittlerweile nicht mehr die Norm sind (auch wenn sie durchaus hin und wieder praktiziert werden), hat sich die Bedeutung inzwischen auf Abstrakteres verschoben. So dass pakkopulla heute weit weniger Süßes, nämlich eine lästige Pflicht  bezeichnet.

Wort des Monats – Mai 2012:

Påtår

Nirgends wird so viel Kaffee getrunken wie in Skandinavien. Böse Zungen behaupten zwar, diese Kaffee-Begeisterung sei in erster Linie quantitativer und nicht qualitativer Natur. Aber wie dem auch sei: der Kaffee ist ein nicht wegzudenkender Teil des skandinavischen Alltags. Es heißt, in einem Wiener Kaffeehaus könne man stundenlang bei einer Tasse Kaffee sitzen. In Skandinavien kann man das nicht, denn man sitzt bei mehreren Kaffeetassen. Ist die erste Tasse Muntermacher geleert, gießt man sich an der Theke (in skandinavischen Kaffeehäusern ist oft Selbstbedienung angesagt) einfach eine zweite ein. Diese Neuauffüllung wird in Schweden PÅTÅR genannt und ist tunlichst nicht nur nicht umsonst, sondern auch meistens gratis – påtår gratis.